Hoch hinaus
Terren: Das coolste elektrische geländegängige Mehrzweckfahrzeug der Welt.
Darum geht es
Und dann zieht unerwartet ein Gewitter auf. In 20 Minuten würden sie die Monte-Rosa-Hütte auf 2’883 Meter über Meer erreichen. Blitze und Donner folgen in so kurzen Abständen aufeinander, dass die drohende Gefahr den Atem stocken lässt. Die Mountainbikes, Skis und die Kameraausrüstung auf dem Rücken lasten schwer, die Kleider kleben völlig durchnässt an den Körpern. Dann taucht sie plötzlich hinter einem Felsen auf: Die rettende, futuristisch anmutende kristallähnliche Monte-Rosa-Hütte.
Es ist nur eine kurze Episode aus einem wahnwitzigen Abenteuer, das die beiden Brüder David und Patrik Koller und ihr Kumpel David Pröschel im vergangenen Sommer gemeinsam mit zwei Kameramännern unternahmen: Als erste Menschen überhaupt wollten Sie mit ihren Mountainbikes den 4'554 hohen Walliser Gipfel Signalkuppe erklimmen. Geschafft haben es schlussendlich zwar nur Patrik und der eine Kameramann, doch diese Expedition zeigt exemplarisch, wie die drei Jugendfreunde funktionieren. Keine Idee ist zu verrückt, kein Plan zu kühn, Angst vor dem Scheitern existiert nicht.
Vom Buggy zum «Terren electric drive system»
Als Kinder stauten sie Bäche und bauten Hütten, als Jugendliche schweissten sie benzinbetriebene Buggys zusammen, als Erwachsene träumen die Bastler nun von der technischen Revolution. «Unser Ziel ist es, die Elektromobilität weiterzuentwickeln», sagt David Pröschel. «Wir haben uns überlegt, wo sich die Vorteile der Elektromobilität am besten und schnellsten umsetzen lassen und der Kosten-/Nutzenfaktor ausgeglichen ist.» Die Lösung schien die Entwicklung eines langsamen Fahrzeugs zu sein (Faktoren Luftwiderstand und Lärm), das täglich mehrere Stunden im Einsatz steht (Faktor Amortisation), keine grossen Distanzen zurücklegt (Faktor Batterieleistung) und einfach aufgeladen werden kann. Es kristallisierte sich heraus, dass ein geländegängiges Mehrzweckfahrzeug alle diese Vorteile vereinen würde. «Wenn dieses in einer Bergregion eingesetzt würde, hätten wir zudem den Vorteil, dass beim Runterfahren jeweils fast die Hälfte der Energie zurückgewonnen werden kann», sagt Pröschel. Die Idee des «Terren electric drive system» war geboren. Das neuartige elektrische Antriebssystem erfüllt die besonderen Anforderungen von Nutzfahrzeugen. Damit lassen sich sowohl neue als auch bestehende Fahrzeuge ausrüsten.
Do it yourself
Die drei Jungs mieteten sich ein altes Werkstattgebäude und bauten es eigenhändig aus, zimmerten Wohnraum hinein und installierten eine Photovoltaikanlage auf das Dach. «Wir verwendeten Solarzellen, die wegen eines Garantiefalls hätten entsorgt werden sollen», sagt David Pröschel. «Sie sehen zwar vielleicht nicht so hübsch aus, funktionieren aber einwandfrei.» So gut, dass sie mittlerweile nicht mehr für Strom bezahlen müssen, sondern sogar noch Geld von der Gemeinde erhalten, weil sie Stromüberschuss produzieren. Ansonsten riss das Projekt jedoch ein grosses Loch in die Taschen der Pioniere. «Gemeinsam haben wir bis jetzt rund 100'000 Franken investiert und bezahlen uns selbst keine Löhne», so Pröschel. Dank Partnern, Sponsoren und einem überaus erfolgreichen Crowdfunding kann der Prototyp bald fertiggestellt werden. Dieser basiert auf einem Aebi Transporter und soll bis im Frühling fahrbereit sein. Für die Weiterentwicklung zur Serientauglichkeit fehlen aber noch einige hunderttausend Franken. Dafür sind die Pioniere noch auf der Suche nach zusätzlichen Sponsoren und Investoren. Mitunter auch deshalb lancierten sie einen genialen Marketingtrick: Einen Weltrekordversuch.
Expedition nach Chile
Um Aufmerksamkeit zu erzeugen, braucht es gutes Storytelling. Das wurde den drei Visionären schnell bewusst. Und so überlegten sie sich ein geeignetes Setting, um den Helden «Terren» würdig in Szene zu setzen. Und weil kleine Träume so gar nicht ihr Ding sind, planen die beiden Davids und Patrick den ganz grossen Coup: Noch in diesem Jahr wollen sie den «Terren» in Chile auf Herz und Nieren testen. Der Plan: Die Erklimmung des höchsten Vulkans der Erde und zweithöchsten Gipfels Südamerikas – den 6'893 Meter hohen Ojos del Salado. Sollte dies gelingen, so wäre dies der Höhenweltrekord für Landfahrzeuge!
Noch stehen den drei Tüftlern jedoch einige Hürden im Weg. So gilt es nun, den komplexen Innenausbau des «Terren» abzuschliessen und die Elektronik und das Hydrauliksystem einzubauen. Danach muss auch noch die gesamte Software programmiert werden.
Doch wie die vergangenen Jahre und besonders auch das Erlebnis auf der Weltrekord-Vorbereitungstour im letzten Sommer in den Walliser Bergen gezeigt hat: Die drei Freunde werden auch diese Reise trotz Blitz und Donner unbeschadet überstehen. Und wer weiss – vielleicht besuchen Sie uns mit ihrem Prototyp vor ihrem Abenteuer in Chile sogar noch in Gstaad…?!